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DIE KÜRZESTE KURZGESCHICHTE


Angeblich saß Ernest Hemingway in den 20er Jahren mit einer Gruppe Autoren zusammen und bot eine Wette an: Er könne eine Kurzgeschichte mit nur sechs Wörtern schreiben. Gewagte Behauptung, hoher Wetteinsatz – doch Hemingway gewann. Er schrieb auf eine Serviette: „For sale. Baby shoes. Never worn.“ („Zu verkaufen: Babyschuhe. Nie getragen!“)


Zugegeben: ein starkes Stück. Aber jetzt komm ich. Ich wette, dass ich eine Kurzgeschichte sogar mit nur vier Wörtern schreiben kann. Wer hält dagegen? Wetteinsatz: eine Flasche Rum. Sie können es sich noch überlegen, während ich zur Geschichte hinleite. Sie spielt in Baghouz, Syrien. Die Nachrichten haben es berichtet: Die Schlacht um Baghouz bedeutet das Ende des Islamischen Staates. Rein geografisch. Ideologisch und terroristisch definitiv kein Ende in Sicht.


Am letzten Vormittag des Islamischen Kalifates führt mich ein sehr junger Mann mit einer Kalaschnikow auf ein Hausdach. Von dort soll ich die Kampfszenen gut filmen können. Die Luftangriffe kommen schnell. Ich filme schwarze Wolken. Alles ist im Kasten. Der bewaffnete Jüngling der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) merkt schnell, dass mich schwarze Wolken wenig beeindrucken. Er ignoriert alle Gefahren von Sprengfallen, nimmt mich mit ins Haus und wühlt sich durch die Zimmer. Er zeigt mir Munitionstaschen, die Bauteile eines Selbstmordgürtels und freut sich über mein wachsendes Interesse. Die IS-Kämpfer seien erst vor wenigen Tagen aus diesem Haus vertrieben worden, es waren internationale IS-Freiwillige aus aller Allahs Länder. Sie hatten sich verbarrikadiert und lange von hier aus auf die vereinten internationalen Kräfte geschossen. Überall liegen Patronenhülsen, die klingelnd bei jedem meiner Schritte zur Seite kullern. Draußen ein Depot von etwa 250 leicht reizbaren Artilleriegeschossen. “Look. Look.“ Der junge Kämpfer ist freudig erregt. Er zieht etwas aus einem Berg zerknüllter Wäsche.

Jetzt ist Ihre letzte Chance, noch gegen mich zu wetten … Zu spät! Meine Kurzgeschichte lautet:

„Islamischer Staat. Minirock gefunden.“


Bitte schicken Sie mir den Rum nach Beirut, nicht nach Baghouz. Dort sind die Sitten zu streng. Obwohl – wer weiß?


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https://realsatire.de/die-kuerzeste-kurzgeschichte/


„WIE ICH BESCHLOSS, KEIN INSTAGRAM-INFLUENCER ZU WERDEN“

Ich lebe im Ausland, reise wahnsinnig viel, fotografiere leidenschaftlich gerne – habe aber nur 112 Follower auf Instagram. Das zog ich aus zu ändern.

Kairo, Hotel mit Nilblick, 4:45 Uhr am Morgen. Ich habe einen Layover-Tag in Ägypten, die Pyramiden sind fällig. Wenn ich schon zu einem der berühmtesten Instagram-Selfie-Spots fahre, dann will ich einmal der Erste sein, allein im Morgengrauen alles für mich haben. Einmal eine Übersichtstotale ohne Touristen fotografieren. Instafotografen wissen: Im Morgenlicht knipst man die besten Selfies.

Nur 15 Kilometer nach Gizeh. Der Taxifahrer ist sehr froh, mich Sonderling schnell loszuhaben. “Here pyramids. Bye bye.”

Dickes Eisentor. Offene Müllcontainer. Fickende Katzen. Endlose Mauern. Durch das stählerne Rolltor, an Sicherheitsleuten vorbei, sehe ich gewaltige schwarze geometrische Formen. Die ägyptischen Pyramiden sind noch abgeschlossen.


VIDEOS FUNKTIONIEREN AM BESTEN, HABE ICH GELESEN

Ich laufe absolut allein die Mauer entlang. Rechts von mir kleine Häuser mit geschlossenen Läden. Tagsüber Touristenfallen, nachts Katzenschlafplätze. In einem flachen Lehmhaus ist Licht und viel Betrieb. Vier Männer arbeiten dort und gießen eine braune, giftig riechende Masse in Gipsformen. Ich stecke meine Nase in die Werkstatt und frage, wie ich denn jetzt näher an die Pyramiden komme. „Not possible. 8:30 open.“ Ok. „You want tea?“ Ja klar want I. Eine bedrohlich wacklige Holzleiter später sitze ich auf einem bedrohlich wackligen Plastikstuhl und blicke vom Dach auf den überdimensionierten Holzspielkasten geometrischer Formen im Sternendunkel vor mir.

Innerlich bereite ich den Instagram-Post „Tee auf dem Dach der Sphinxgießerei” vor. Videos funktionieren am besten, habe ich gelesen. Am besten was mit Servicecharakter, also etwas Nützliches erklären. Dann noch die richtigen Hashtags – und der Hase läuft. Heute lege ich den Grundstein zu meiner erfolgreichen Reisevideobloggerkarriere.

Jetzt wollen mir aber Ahmad und Mo eine Sphinxplastik, ein grünes Minipferdchen und noch eine Isis-Statue verkaufen. „For your family: Souvenir Epypt.” Ja, das würde meinem Vater schon gefallen, aber das schleppe ich doch jetzt nicht meinen ganzen Instagram-Tag mit mir herum. „l will come back, thanks for the tea.”


Noch im Zuckerschock vom Tee komme ich am nahegelegenen Kamelstall vorbei. „Wie komme ich zu den Pyramiden?“

„Ich kann Dich hinbringen. Horse or Camel?“

„What is the name of your horse?“

„No name.“

„What is the name of the camel?“

„Michael Jackson.“

Am nächsten Tag habe ich schlimme Schmerzen. Unterhalb des Bauchnabels vom Reiten, um den Bauchnabel herum von diesem Lachflash. Ich wische mir die Tränen weg, die wirken nicht so gut auf Selfies.

Der angehende Internetstar und der Kameltreiber werden sich auf einen Preis einig. Ich möchte den Sonnenaufgang an den Pyramiden fotografieren, erkläre ich dem berittenen Mann, der mein Kamel führt. Sein bulliger Nacken nickt.

Wir reiten durch ein heruntergekommenes Wohngebiet im realsozialistischen Betonbaustil. Mehr offene Mülltonnen, kläffende Straßenköter, Autos ohne Lack und Räder. Straßensperre. Fünf Soldaten hocken hinter Betonklötzen und winken ab: Auch die Wüste ist geschlossen. Wir reiten einen riesigen Bogen. Ich komme mir auf dem Kamel nicht wie Lawrence von Arabien vor, sondern wie ein dämlicher Volltrottel. Zum Glück ist noch keiner wach.


ICH, GESCHÜTTELT VOM KAMEL

Es wird langsam hell. „You come late”, sagt der Treiber und knallt seine Hacken in No Names Flanken. Michael Jackson röhrt laut, hat aber keine Lust auf einen schnelleren Beat.

„You kick camel or you late for sunrise.” Alles in mir wehrt sich. Ich möchte nicht zum Hashtag #animalcruelty werden. Also zerrt No Name an Michael, bis der in einen grazil gestreckten Kamelsgalopp übergeht. Mir fliegt fast alles aus der #cameragadget-Tasche. #whatsinmybag. Meine Knochen knacken Kosakenstyle und mein Respekt für Kameljockeys steigt rapide.

Mein rechter Steigbügel reißt ab. Ich stecke ihn in die Satteltasche, steige auch aus dem anderen und presse die Oberschenkel zusammen wie John Wayne.

Wir rasen an einer wummernden Disco am Wüstenrand vorbei und dann liegt die Zivilisation hinter uns. No Name wird langsamer. Michael Jackson tropft zähe Spucke in den Sand. 15 Minuten nichts. Wellentäler. Ein paar Reifenspuren in der Dämmerung.

Der perfekte Hintergrund für meinen ersten Videoblogbeitrag. Ich, geschüttelt vom Kamel, erzähle in die am gestreckten Arm gehaltene Kamera hinein. Wichtige Servicegedanken, die man als Weltreisender so wissen muss, heute: richtiges Grüßen vom Kamelrücken. Etikette ist wichtig. Niemand möchte umweltmännisch im Ausland auffallen. Da aber die Nachwehen des wilden Rittes mit der aufgehenden Sonne ganz klar auf mein Jetlag treffen, bekomme ich keinen klaren Gedanken zusammen und keinen Satz zu Ende. Nach sieben Versuchen, Deutsch und Englisch, gebe ich auf. Ich filme minutenlang meinen Schattenriss auf dem Kamel, als uns eine Bande brüllender Quads (vierrädrige Geländemotorräder) überholt.

Sie vollgasen durch die Dünentäler auf ein Ruinengeviert zu. Dieses „Café Ruiné“ ist eine Art Karawanserai in der Wüste. Michael Jackson vollführt einen knochenbrecherischen Breakdance. Ich bin wieder auf Bodenhöhe und darf absteigen.

Nur leicht schmerzverzerrt John-Wayne-walke ich zu einem Mäuerchen und lasse mich fallen. Wie überall an diesen Orten zwischen Zivilisation und Wildness gibt es fiesen Instantkaffee.

15 Jungs üben Wheelies mit ihren vierrädrigen Knatterdingern. In etwas Abstand jagen sich Touristengruppen auf Pferden. 20 Meter vor mir liegt ein totes Pferd im Sand. 300 Meter entfernt stehen im leichten Dunst die drei Postkartenmotive: Cheops, Chephren, Mykerinos, dahinter die drei Königinnenpyramiden. Zwischen uns ein vier Meter hoher Zaun, den ich nur mit Mühe aus dem Bild gehalten bekomme. Obendrein ist die Sonne genau an der falschen Stelle aufgegangen. #PhotoFail.

Ich habe meinen super Instagram-Beitrag nie online gestellt.


Als Service – wichtige Hashtags für Reisende:

#makeportraits #friendsandwalls #storyportrait #postmoreportraits #makeportraitsnotwar #chasinglight #justgoshoot #handsinframe #acertainslantoflight #makemoments #toldwithexposure #acolorstory #agameoftones #illgrammers #createcommune #fatalframes #thecreatorclass #adventureculture #departedoutdoors #worldcaptures #artofvisuals #travelawesome #followmefaraway #welivetoexplore #igshotz #travelandlife #welltravelled #justbackfrom #whatsinmybag #cntravelereats #passportexpress #passionpassport #thattravelblog #traveltheworld #lonelyplanet #justgoshoot #worlderlust #vacationgoals #takemethere #takemetherenow #vscocommunity #liveauthentic #thatsdarling #darlingmovement #flashesofdelight #livethelittlethings #nothingisordinary #thehappynow #welltravelled #visualsoflife #visualsgang #instamagazine #instamagazine_ #saturdaze #instainspo


http://realsatire.de/wie-ich-beschloss-kein-instagram-influencer-zu-werden/

INDIAN ZWIEBEL LOVE STORY

Tilo Gummel

23. Mai 2016


Unser Autor konnte keine Zwiebeln mehr sehen. Er floh nach Indien. Dort wurde alles noch viel schlimmer: Die Zwiebel ist dort hochpolitisch – und Männer tragen sie unterm Turban. 


Ich habe eine emotionale Verbindung zu Zwiebeln. Jeden Oktober wird in Weimar, meiner Heimatstadt, die Zwiebelkönigin gewählt. Gekrönt mit einem geflochtenen Zwiebelkranz, regiert sie über den Weimarer Zwiebelmarkt. Eine Woche Ausnahmezustand: Zwiebelkuchen, Zwiebelschnaps, Zwiebeltanz mit Jazz vor Goethes Wohnhaus, Zwiebeltanz mit Rock auf dem Marktplatz. Weil Weimar mir zu klein war und ist, bin ich vor neun Jahren nach Neu Delhi umgezogen, geflohen – nicht nur vor der Zwiebel, aber auch.

In Indien wurde alles noch viel schlimmer. Hier ist die Zwiebel Grundnahrungsmittel, Grundbaustein für jede Currysauce – und schwer politisch. Man spricht ihr magische Bedeutung zu. Der Zwiebelpreis macht Schlagzeilen auf der Titelseite. Jeden Frühling. Wir stellen uns vor: BILD-Zeitungs-Titel „Zwiebelpreis um 3 Cent gestiegen!“; die Berliner gehen auf die Straße; alle rufen: „Zwwwwiiiiieeeebeel! Power to the peeeooplllee!“; Wasserwerfer rücken an.

Hier, in Delhi, ist das vorstellbar. Die Rikschafahrer reden darüber. Die hübschen indischen Frauen in ihren hübschen Saris stellen stillschweigend, wie von ihnen erwartet, ihren Speiseplan um. Die „Times of India“ und die „Hindustan Times“ bringen es auf der Titelseite. Ein Kilo Zwiebeln kostet in den Monaten der Zwiebelknappheit mehr, als ein normaler Arbeiter am Tag verdient.

Ein grauhaariger indischer Freund erzählt mir, dass sogar die Gandhi-Familie einmal in einem Gott-verlassenen Bundesstaat die Landeswahl verloren hat, weil der Zwiebelpreis so hoch war.

Eine Fahrt nach Chandigarh, die LeCorbusier-Retortenstadt, erzwungene Landeshauptstadt des Punjab. Punjab ist wie Sachsen: Die Leute sind fleißig, ehrlich, emsig, nett, reden komisch, tragen Nike-Sneakers, kombiniert mit Pyjamahemden, und glauben, genau das sei schick und modern.

Ein Mann sitzt auf Zwiebeln. Vielen Zwiebeln
Zwiebelmarkt in Indien, mit Zwiebelmarktverkäufer. 
Ein bedrohlich-stolzer, hagerer Sikh mit makellos gepflegtem Bart kommt auf mich zu und erklärt mir ungefragt, eine angeschnittene halbierte Zwiebel unter dem Turban halte seinen Kopf kühl. Ich nicke, weil er mir Angst macht, aber glaube ihm kein Wort. Wickelt er sich wirklich jeden Morgen drei Meter Stoff um dem Kopf und setzt sich vorher eine Zwiebel auf?

Meine unwissenschaftlichen Umfragen in Chandigarh machen alles nur noch schlimmer: „Ja, Zwiebeln kühlen deinen Körper. Eine halbe Zwiebel in der Hosentasche hält deine Beine kalt.“ Die Sonne ist unbarmherzig im Punjab: 47 Grad; nach 20 Minuten auf der Straße ist mein Nacken gar und essbar. Aber deshalb tagelang mit ner Zwiebel in der Hose rumlaufen? Ich frage den einzig vernünftigen Menschen, den ich kenne in Chandigarh: Amit Khanna, Küchenchef. Amit erklärt mir: Es gibt kein indisches Gericht ohne Zwiebel. Ob arm, ob reich – die ersten drei Zutaten in der Pfanne sind Zwiebeln. „Ihr würzt das Gemüse beim Kochen. Wir würzen das Öl zuerst – und das Öl gibt den Geschmack an das Gemüse,“ doziert er. Ich stecke mir eine rote, in Essig eingelegte Zwiebel in dem Mund und spiele gehörlos, damit er endlich aufhört.

Mitunter gerät die indische Regierung so sehr unter öffentlichen Druck, dass sie in Ägypten zukauft, damit die Preise sinken. Unterschätze nie die Macht der Zwiebel!



AUTOR*IN

Tilo Gummel: App-Entrepreneur und Kamera-Nomade; kommt aus Weimar, hat Kommunikationsdesign in Dortmund studiert, lebt seit 2008 in Neu Delhi - und wird erbarmungslos von Zwiebeln verfolgt.

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http://realsatire.de/indian-zwiebel-love-story/

SPINAT IM HIMALAYA


Hindi lernen ist nicht schwer. Dachte unser Autor. 


Seit es mich zur Mutter Indien verschlagen hat, höre ich immer wieder von der indo-germanischen Sprachwurzel. Nein, das ist kein Curry-Gewürz – sondern verdeutlicht die enge Verwandtschaft unserer Sprachen. Das Hindi-Wort „Sabun“ für Seife erinnert an Shampoo. Sehr beliebt waren in Ostdeutschland die Bungalows, also die eingedeutschte Fassung des englischen Wortes „Bengalo“ für eingeschossige Häuser im bengalischen Stil. Ich erinnere mich auch an den in Thüringen verbreiteten Satz: „Ich bin doch nicht dein Kuli“, also nicht dein Träger aus der Unterschicht.

Die Kommentarschreiber der englischsprachigen Zeitungen in Neu Delhi, etwa die der Hindustan Times, bedienen sich mit Freuden bekannter deutscher Wörter wie Weltschmerz, Blitzkrieg, Politbüro – oder ganz einfach „schleppen“. Da steht dann: „Chiefminister XY had to schlepp his luggage all by himself.“ Vielleicht war kein Kuli vorhanden.

Die Inder sind den Deutschen sehr verbunden. Die erste Übersetzung eines der heiligen Hindubücher, der Bhagavad Gita, war ins Deutsche. Übersetzer: Max Müller – wirklich wahr. Sogar das Goethe-Institut heißt in Delhi „Max Mueller Bhavan“.

Als ich anfing, Straßen-Hindi zu lernen, fussballspielten zwei Herren names Kaka und Ballack in einem so wichtigen Turnier (WM 2002), dass sogar die Delhi-Taxifahrer es auf ihren Miniradios hörten. Sie waren sehr begeistert, denn beide Namen bedeuten soviel wie „Kindchen“ oder „Jüngelchen“.

Hindi lernen ist im Vergleich zu anderen Sprachen nicht schwer. Die Grammatik ist überschaubar. Das „ist“ kommt an den Ende des Satzes. „Elefant groß ist.“ „Er viel Grass essen ist.“ Danach wird es kompliziert mit angedeuteten Verben und Postpositionen. Präpositionen kannte ich, aber Post…? Ein wichtiger Hindifilm heißt „Taares Zameen par“ also „Sterne Erde auf“. Es geht um lernschwache Kinder, die trotz ihrer sozialen Stigmata Sternchen auf unserer Erde sind.

Nach einem Jahr klappte es mit Hindi schon sehr gut. Es kam zum alljährlichen Männlichkeitsritual: mit dem Motorrad in den Himalaya knattern, raus aus der Hitze der Ebene – ab in die kühlen Berge. Ich sehe die „Hügel“ – „the hills“, so nennen sie das höchste Gebirge der Welt hier – schon vor mir, da stockt und stottert meine Mopete. Es ist natürlich eine Royal Enfield, die es seit kurzem sogar bei Tchibo gibt. Ich halte also bei der ersten Werkstatt an. Straßenseitige Werkstätten erkannt man daran, dass an einem Holzverschlag ein platter Reifenschlauch hängt, oder eben andere Motorräder herumstehen, die so aussehen, als bereiteten sie sich auf eine Offene-Herz-OP vor.

Ich zerr meinen Bock, den ich liebevoll „Kiste“ getauft habe, auf den Ständer und erkläre dem herbeilaufenden, etwa 16-jährigen Motorrad-Service-Fachangestellten in gebrochenem Hindi: „Kaputt.“

Er klemmt sich dahinter. Jetzt läuft das typische Testprogramm ab. Hupen heißt: Strom da. Die Batterie ist es also nicht. Dichtung, Vergaser oder Benzinzufuhr… mir zu doof, ich gehe eine rauchen. Der Serviceexperte kommt hinter mir her. Er wirkt nicht so, als habe er eine Lösung, redet aber auf mich ein. Unter den Worten, die ich verstehe, ist „Palak“ – also Spinat.

Ok, ich kombiniere klug: Das dauert – und er will erstmal was essen gehen: Spinat. Dann setzt er nach: „Drieeeeefiftie“- 350 Rupien. Ich denke nur: „Sportsfreund, ich weiß genau, wie viel hier ein vegetarisches Gericht kostet. Ich lege dir gerne was für dein Essen dazu, aber 5 Euro sind in Indien ne Menge Holz, besonders auf dem Land. „Nahi, jhe mehenga hai“ – „Nein, das ist zu teuer“, höre ich mich protestieren. Diesen Satz kann ich noch von den Rikschafahrern auswendig. Er hebt den Zeigefinger mit dem Fingernagel zu mir und hält den Daumen auf Höhe des Mittelgliedes von innen dagegen. Das indische Zeichen für „1“ oder „one minute“ oder „dauert nicht lange“. Ich ächze und stelle mich auf lange Verhandlungen ein, denn „one minute“ ist ein ganz schlechter Scherz. Aber er dreht sich auf dem Hacken um und rennt zum Motorrad-Fachhandels-Verschlag.

Zack! Er hat, was er suchte, und schon auf dem halben Rückweg trötet er „Drrrreeeeeeeefiiiiiiiiifffty“ und drückt mir eine Papierschachtel in die Hand. Ich lese: „Hindustan Motors – Spark Plug“, also Zündkerze, 350 indische Rupien.

Zehn Minuten später sitze ich im Fahrtwind auf der schnurrenden „Kiste“ mit einem schweren Lachanfall: Plug – indisch ausgesprochen Pa-laaak – hat nichts mit Spinat zu tun.


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http://realsatire.de/spinat-im-himalaya/

AUS DEM PARADIES VERBANNT


Als Deutscher habe ich ein Weltvisum. Und auf die magische Macht meines deutschen Reisepasses verlasse ich mich seit Jahren. Meine Eltern durften vor 1989 eigentlich nicht nach Prag, definitiv nicht nach Budapest und nur als Studienreise nach Moskau. Ich jedoch bekomme in 52 Ländern “Visa on arrival”. Der beste Pass der Welt. Ich habe ihn durch Geburt und Mauerfall erworben. Meine Herkunft, mein Geburtsdatum, mein Gardemaß und meine Augenfarbe (graugrünblau) sind auf einem laminierten Streifen auf der ersten Seite dieses Passes verborgen.


Bei jedem Grenzübertritt wird mein Reisepass von groben Männerhänden aufgerissen, hintenüber gebogen und durch einen Schlitz gezogen, um ebenjene Informationen auszulesen. Als international aktiver Kameramann habe ich viele Grenzübertritte. Fünf Jahre heftigster “Behandlung” dieser Art führen zwangsläufig dazu, dass die Bundesdruckereibuchbindernaht meines germanischen Passes etwas nachgibt. Dies hat an einem dunstverhangenen Morgen in Indien Folgen.


Wie gewöhnlich übernächtigt, in Schlabberhosen und Badeschlappen, checke ich in Mumbai ein. Morgen soll ich, vertragsgemäß, in Beirut sein. Herr Kumar am Check-in-Schalter sieht das anders: Die Naht ist lose, der Pass beschädigt – und mit einem “damaged passport” wird er mich nicht fliegen lassen. Hilflos, unterwürfig rufe ich bei der deutschen Botschaft an. Und natürlich wird mir geholfen. Drei Autorikschafahrten später: Ich erhalte von einer mitleidig blickenden und kompetenten Dame der “Djörmänn Hai Kommischen” einen grünen, vorläufigen deutschen Reisepass und bin wieder Jemand beim Einchecken. Herr Kumar von Emirates Airlines winkt mich durch.


Mein Hirn speichert diesen schmerzhaften Vorgang leider nur unter “Ja, Ja… du musst mal wieder auf dein Bürgeramt im fernen Bratwurstland und dir ‘nen neuen Bordeauxroten ausstellen lassen”. Erledigung, später. Treudoof fliege ich meinen Filmaufträgen hinterher, in den Libanon, nach Mumbai, nach Delhi, nach Singapur. Schließlich filme ich in Vorfreude aus dem Flugzeugfenster den Anflug vom Meer aus auf Bali. Hier soll ich mit einer lieben Kollegin ein paar Tage drehen. Wenn alles gut läuft, haben wir zwei Tage am Strand. Juhu. Schöner wird mein Berufsleben niemals.




Ich werde das Paradies nicht erreichen. Der Türsteher Balis mag meine Schuhe nicht. Und meinen Pass. Mit meinem grünen deutschen komme ich hier nicht rein. Ich habe den falschen “temporary passport”. “You are being turned around!” “Ich werde umgedreht?” Aber der Pass gilt ein Jahr, bis 2019, höre ich mich protestieren. Ein neues indonesisches Gesetz stürzt mich ins Unglück. Ich darf nicht hinein, werde aussortiert und in hässlichen Neonröhrenbüros peinlich befragt. Völlig hilflos verabschiede ich mich winkend von meinen Freunden und Kollegen aus der Immigrationswarteschlange. Die Airline hätte mich niemals mitfliegen lassen sollen, sagt mir ein Beamter mit kugelsicherer Weste. Mein Koffer wird mir übergeben, ab jetzt werde ich deportiert und eskortiert.


Bali ist das Mallorca der Australier, leider fliegen sehr viele unangenehme Menschen hierher und fallen auf. Dadurch sehen sich die indonesischen Beamten gezwungen, sehr forsch aufzutreten. Eine schreiende Dame in einem zeltartigen, blumenbedruckten Kostüm schlägt einen alten Mann mit hochrotem Kopf, die Flugbegleiterin scheint seinen Alkoholpegel gepetzt zu haben. Eine Weißrussin kann ihre Visagebühr nicht bezahlen und bietet den Beamten Münzen ihrer letzten Durchreiseorte.


Ich beschließe, zu meinem Geleitbeamten auffallend nett zu sein. Adhiarja merkt schnell, das ich zwar ein Trunkenbold, aber kein australischer bin. Bewaffnet mit Warnweste und Walkie-Talkie erklärt er mir, dass sein Name “Sicherheit” bedeutet und ich in Sicherheit sei. Bei Caprese, Schinken-Rucola-Pizza und Bier im Transitwohlfühlrestaurant mache ich ihm klar, das mich das sehr erleichtert. Immer wieder muss er “rumfunken”, dass der freundliche, aber dicke Weiße noch nicht mit seiner Pizza fertig ist. Ohne Tiramisu werde ich gezwungen, meinen Deportationsflug zu kaufen. Ich muss zu dem Flughafen zurückfliegen, aus dem ich kam. So befiehlt es das indonesische Gesetz. Ich darf nicht zum Ziel meiner Wahl fliegen. Ich werde auch gezwungen, dieselbe Airline zu buchen. Ob ich Kreditkarte oder bar bezahlen möchte, fragen mich zwei Herren mit Handschellen und ein ungehaltener Herr hinter schusssicherem Glas. Zu meinem Erstaunen ist noch ein bisschen Luft im Dispo. Ich bevorzuge das gegenüber Tellerwaschen für 253 Euro in uniformierter Begleitung am Flughafen Bali.


Ich sitze also dort und warte auf meinen Flug – 18 Stunden lang. Ein gekachelter Raum, vier Sessel und ein Sofa aus der Zeit vor der christlichen Luftfahrt. Fünf Abschüblinge und vier Sicherheitsjünglinge. Ich wähle ein Kissen und den Kachelboden. Es gibt Wifi, sogar relativ flinkes. Nach der zweiten Netflix-Staffel “Dear white people” habe ich wieder Hunger. Die pakistanischen und chinesischen Abschüblinge bekommen mit großem Trara “Biznis-Klass”-Ess-Pakete, die leicht an Katzenfutter erinnern. Der privilegierte Weißling mit dem falschen deutschen Pass geht unter Begleitung dinieren, wiederholt paffen und shoppt Duty-free.


Es ist fünf Uhr morgens, unter Ächzen schlafen die Kachelzimmerbewohner auf dem kalten Boden. Sie drehen sich in die wildesten Positionen, betten ihre Häupter auf ihr Handgepäck, stopfen Jacken unter die Hüften, um auf dem harten Boden schlafen zu können. Mir werden die Ausstrecksessel im Eincheckbereich der First Class angeboten. Ich schlafe keine Minute. Kaufe Dosenbier im Minimarket und rauche dem Sonnenaufgang entgegen. 16 Stunden Flug über Singapur, Kuala Lumpur nach Kathmandu warten auf mich – ein Riesenumweg, wegen der Deportation.


Endlich werde ich zum Stempeln begleitet. Deportation erfolgreich, denken meine Begleiter. Ich bekomme nun aber richtig Ärger, denn hinter dem Stempelexperten hängt ein riesiges “Deport”-Stempel-Poster, das ich zwanghaft mit dem Deportationsexperten zusammen fotografieren möchte. Zack, entreißt er mir das Telefon, löscht das Foto, geht in den “Gelöschte-Bilder-Ordner” und löscht auch dort das Foto. Hackt wild auf seinem Rechner rum und brüllt “black listed”. In die Cloud meines Telefons hat er es nicht geschafft. Ich habe das Foto auf der Gangway zum Flugzeug wiederhergestellt.


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